Ja es stimmt, wir wurden zu Tagesbeginn von unserem Tourguide gewarnt, denn er wies uns deutlich darauf hin, dass wir alles Warme, was wir haben anziehen sollen. Wir brechen auf und bleiben zunächst auf 4.000 m Höhe, um über ein schier endloses Hochplateau zu fahren, welches sich mehr als 100 km lang erstreckt. Was uns einfach nicht bewusst war, sind die herrschenden Temperaturen. Da es ein sonniger Tag war gönnte uns der Wettergott 2° plus.

Ich  bin zwar Ganzjahresfahrer und durchaus auch kalten Temperaturen nicht abgeneigt, aber der große Unterschied ist, ich fahre zuhause ein völlig anderes Motorrad. Die kleine BMW 310 GS, die eigentlich klaglos und konstant ihren Dienst verrichtet, hat weder irgendein Windschild noch irgendeine Windabweisung bei den Händen. Die „Kalt-Wetter-Handschuhe“, die ich bei uns vielleicht einmal im Jahr trage, haben hier ihre Überzeugungskraft gänzlich verloren. Nach 10 Minuten war meine Finger steif, nach 20 Minuten dachte ich, es geht nicht mehr nach einer halben Stunde wurde eine Pause eingelegt, weil alle das gleiche Problem wie ich hatten und insbesondere unsere mitfahrenden Frauen aus dem Zittern nicht mehr herauskamen, denn es war einfach rattenkalt und der Wind tat sein Übriges. Irgendwann beschlossen wir, den Vorausfahrenden den Auftrag zu erteilen:

„Wenn du irgendwo irgendetwas in dieser eigentlich eher menschenverlassenen Gegend (Tibetanisches Hochland) siehst, wo wir einen Tee bekommen können, dann halte an und wir stürmen die Bude!“ Selten sah man kleine tibetanische Gehöfte, die immer umgeben sind von großen Herden von Yaks, wobei mir immer schleierhaft blieb von was sie sich ernähren. Staub, Steine und Erde gab es ausreichend, aber Grün ist, zumindest in dieser Jahreszeit, Mangelware. Armin, der Gute, fand etwas und so konnten wir ungefähr auf halbem Wege des Plateaus einen heißen Tee trinken und uns vor allem die Hände an den Pappbecher wärmen.

Danach hieß es aufsitzen und wir packten die zweite Hälfte an und freuten uns alle tierisch, als der Abstieg begann und es sofort spürbar wärmer wurde.  Kurze Freude, ein erneuter Anstieg und es begann zu schneien. Kein Drama, denn der Schnee blieb nicht sofort liegen,  aber es soll nur ein Bild vermitteln, wie wunderschön man einen Sonntag in China verbringen kann (trotz allem, Fahrt und Landschaft waren wieder einmal spitze). Oben angekommen machen wir noch einen schönes Bild mit Eiszapfen, werfen unsere Gebetszettel in die Luft und denken darüber nach, ob die unübersehbare Anzahl dieser Gebetsfahnen von all jenen Menschen angebracht wurden, die dem Straßenverkehr, der einem die Haare zu Berge stehen lässt, entkommen sind. Am Nachmittag machten wir eine kurze Pause in so einer Art na ja, lass mich mal sagen Autohof.  Wobei man sie besser nicht mit Autobahnraststätten bei uns in Verbindung bringt. Jeder hat schon mal beklagt 70 Cent für die Toilettenbenutzung entrichten zu müssen, obwohl man dafür 50 Cent angerechnet bekommt, sofern man , einen völlig überteuerte Artikel in der Tanke ersteht. Alle jedoch, die bei uns für die Toilettenbenutzung bezahlen müssen, werden den Betrag liebend gerne entrichten, sofern er die Anlage dort gesehen hat. Von einem langen Gang gingen rechter Hand kleine, halbhoch gemauert Boxen ab. So entstanden kleine Nische, die immer durch eine halbhohe Mauer voneinander getrennt waren und jede Box hatte Zugang  zu einem Plumpsklo. Nein, das ist falsch,  denn durch jede dieser Nische zog sich ein Kanal und die Landesbewohner hockten über diesem Schlitz und während sie mit Ihrem Handy daddelten, gingen sie ihren Geschäften nach. Da weder Wasser durch den Kanal floss, noch es irgendeine Abdeckung gab, waren die Gerüche entsprechend. Wasserspülung, Klopapier oder solche Errungenschaften – Fehlanzeige. Bei den Damen sah es im Übrigen genauso aus, so dass sich tatsächlich die Mädels entschieden, später die Natur aufzusuchen.

Es folgte eine sehr, sehr lange Abfahrt und es wurde tatsächlich auch etwas wärmer – Kilometer für Kilometer. Die Hände entspannten sich,  man konnte die Finger wieder reiben und der ganze Körper sog quasi die ankommende Wärme in sich auf. Zum Abschluss gelangten wir in ein enges Tal, welches uns nochmals eine steile und kurvenreiche Abfahrt, allerdings auf einer stark befahrenen Straße, bescherte und am Ende der Etappe erreichten wir Yajiang,  ein Ort, der im Tal zwischen zwei Flüssen liegt. Die Abfahrt selbst ist ein Ereignis. Es ist eine enge Passstraße, die in eine immer schmaler werdende Schlucht führt und am Ufer des einen Flusses endet, der dann nach Yajiang fließt. Die Pass-Straße zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass jeder, der eineinhalb Kilometer schneller als andere fährt, bergauf überholt. Völlig schmerzbefreit fahren die Jungs mit ihren Trucks auf der linken Spur und gucken mal was passiert. Die Stadt selbst wirkt eher trostlos, kleine Läden, Verwaltungsgebäude, alles nicht sehr schön und auch die Menschen nicht von einer Ästhetik wie sie uns auf dieser Reise früher schon begegnet ist. Nicht nur ich war nahezu tiefgefroren und meine Nase triefte. Jedoch lief die Fußbodenheizung im Zimmer schnell auf Hochtouren und nach einer heißen Dusche ging alles wieder.

Die Abfahrt ist mir noch im Gedächtnis und daher nochmals einen kleinen Exkurs in die aufregende Welt chinesischer Autofahrer. Fahren in China, das ist Kino pur. Kein Mensch kann sich das wirklich  vorstellen. Chinesische Autofahrer, insbesondere die LKW-Fahrer, scheinen alle völlig hemmungslos zu sein. Sie überholen an Steigungen oder in Rechtskurven ohne jede Sicht. Rücksicht, wie oben schon erwähnt, ist verbannt und vorherschauend das Fahrzeug zu lenken ebenfalls strikt untersagt.  Kommt tatsächlich irgendetwas entgegen, scheint ihnen dies relativ schnuppe zu sein. Bei der Hochfahrt zu einem Pass bewegte sich ein Tieflader mit einem Bagger bergauf auf eine Kehre zu und ein Sattelzug mit einem Kühlauflieger fuhr bergab. Sie mussten sich exakt in dieser Kehre begegnen, das war kilometerweit vorher abzusehen aber keiner wollte nachgeben.Natürlich kamen sie nicht aneinander vorbei, sondern blockierten die Kehre und auf beiden Seiten bildeten sich lange Schlangen. Etwas fassungslos konnten wir mit den Bikes relativ gut durch den Stau kommen, aber die Fassungslosigkeit traf uns sofort wieder, als wir bemerkten, dass ein Autofahrer den Bergab-Stau vermeiden wollte, indem er einfach auf der Gegenfahrbahn die komplette Schlange überholte (nur der guten Ordnung halber, dieses Fahrzeug hatte weder ein Blau- oder Rotlicht, noch ein Signal, noch eine Aufschrift wie Police o.ä,

Weiter geht es und zunächst „reiten“ wir durch das tibetanische Grasland, passieren Tempel und besuchen ein Kloster. Kurz vor dem Mittagsgebet liegen die Mönche auf dem Steinfußboden vor der Halle. Wenn die Glocke ertönt gehen sie hinein und sitzen in langen Reihen, um dem gesungenen Gebet des Vorbeters zu lauschen. Bei der Führung durchs Kloster gestatte ich mir die Frage, wieviele Buddas es denn eigentlich gibt. Tausende war die Antwort, was mich eher verwirrte als klüger machte. Das Gute dabei ist, dass man zu jedem Budda nicht nur beten, sondern auch spenden kann. Und so liegen vor jeder Budda-statue bergeweise Geldscheine, die das Kloster „sicher verwaltet“. Genug davon, besser, die Maschinen nochmals auf einer schöne Straße über die 4.300m hoch gelegene Passhöhe nach Kangding zu „driven“

Gebetsfahnen, soweit das Auge reicht

Und von da an geht’s bergab. Zwar erhaschen wir noch einen tollen Blick auf den rechts liegenden Mt. Gongga, dem mit über 7.000 m der  höchste Berg der Region ist, jedoch wird während der Abfahrt nach Moxi schon deutlich, dass wir uns in einem „anderen“ China befinden. Zum einen wird es von Meter zu Meter fallender Höhe wärmer, es ändert sich die Landschaft, die Berghänge und Täler stehen in sattem Grün und man gewinnt den Eindruck eher in einem norwegischen Fjord zu fahren als in Tibet. Mit dem Hochland hat diese Region überhaupt nichts mehr zu tun.  In Moxi erleben wir eine Stadt, wie wir sie auf der Reise bisher noch nicht gesehen haben. Der Stadtkern schmückt sich mit wunderschönen Holzfassaden (schon wieder Norwegen?) Aber, die mit ihrem hellen Braunton sehr angenehm anzuschauenden Häuser bilden sozusagen eine Front, ein kleines Karree und dahinter wirkt es weitaus weniger schön. Also doch nicht Norwegen sondern eher ein Potemkinsches Dorf. Wir übernachten in einem nahezu europäisch wirkenden modernen kleinen Hotel, ich selbst bleibe auf dem Zimmer und versuche die aufkeimende Erkältung auszuschwitzen, wohingegen sich der Rest der Truppe bei Gesang und Polonaise mit einer südchinesischen Reisegruppe um die Völkerverständigung bemüht.

Der Kaffeeduft am Morgen verspricht ein Genussfrühstück und in der Tat, hier gibt es eine Espressomaschine,  ganz wunderbar. Ansonsten essen wir wie üblich harte Eier, weil alles andere zu einem entsprechenden Espresso-Frühstück nicht so richtig zu passen scheint. Rauf auf die Bikes und dann düsen wir am Ufer des Flusses entlang weiter abwärts. Es ist eine unglaublich schöne Strecke mit 70 km Talabfahrt, immer wieder passieren wir Kehren, manchmal überqueren wir den Fluss, um dann wieder zurück über den Fluss zu fahren.

Irgendwie hat man den Eindruck, hier mäandert die Straße und nicht der Fluss, der mit seinem unheimlich klaren Bergwasser sanft in der Sonne schimmert und umsäumt wird von kleinen Dörfchen, wo Mandarinen angeboten werden. Einige von uns halten in einem kleinen Dorf vor einem Stand mit Mandarinen, essen nahezu anderthalb Kilo für 0,70 € und genießen den süßen Saft in herrlicher Sonne.

Weiter geht die Reise durch eine fantastische Landschaft und dem Fluss abwärts folgend, biegen wir von dieser Straße mit wenig Verkehr ab und stehen im Stau. Viele Kilometer vor Xichang, der Stadt in der Nähe des chinesischen Weltraumbahnhofs, geht es nur noch schleppend und langsam voran. Unendlicher Verkehr, Getöse, Geknatter und schlechte Luft begleiten uns rund 30 km bis ins Zentrum, wo wir wieder einmal in einem Hotelpalast an einer verkehrsreichen Straße untergebracht sind. Schräg gegenüber einen Vergnügungspark vergleichbar mit dem Dom (Hamburg) oder Tivoli (Kopenhagen). Das Abendessen in einer lokalen Gaststätte passt sich total dem Gesamteindruck an, die Toiletten ebenso ein bisschen gewöhnungsbedürftig aber ansonsten alles gut. Auf dem Rückweg zum Hotel fand dann der Überfall statt. Tausende von Moskitos wollten sich am Langnasenblut gut tun und waren in der Tat überaus lästig. In vielen der sogenannten Luxushotels mangelt es wirklich an gutem Personal. Es gibt zwar viele, jedoch stehen sie einfach herum und kümmern sich nicht, schauen interessiert weg und sofern es Sprachprobleme gibt, also dauernd, zucken sie mit den Achseln. Das Bemühen jemanden oder dessen Anliegen zu verstehen, ist nicht sehr ausgeprägt. Am nächsten Morgen versuchen wir uns aus der Stadt heraus zu manövrieren. Die Verkehrsstraße vor dem Hotel ist dicht, aber wir sind in China und da fahren die Autos dann über den Bürgersteig und die Fusels hüpfen. Am Ende des Tages haben wir es mit mühsamer Vorwärtsbewegung geschafft, dem Beton- und Straßenwahnsinn zu entkommen. Es hilft alles nichts, irgendwann muss man auch Kilometer machen, wenn sich am Ende der

Kurzer Schwatz zwischendurch

Tour der Kreis wieder schließen soll. Heute ist so ein Tag, es bedeutet eine nicht ganz so liebreizende Landschaft und wenig herausfordernde Kurven und Kehren, dafür fressen wir Kilometer.

Aber davon wird man ja nicht satt und so genießen mittags ein ungeheuer schmackhaftes Essen. Ein heimischer „Fleischereifachbetrieb“ bringt auf einem offenen Pick-up ein gerade noch schlachtwarmes Rind mit und die Einzelteile werden auf dem Pick-up einfach so auf einer Folie liegen gelassen, dann kommt der Kopf und die Beine herunter, die Einzelteile von dem Rind werden gewogen und sofort von an das Restaurant übergeben. Das war Bio- und lokale Lieferkette pur. Das Essen übrigens mit Reis, Rindfleisch und Minze war super.

Ziel des Tages ist der auf 2.700m gelegene Lugu Lake. Vor traumhafter Kulisse beziehen wir ein Hotel am See und tummeln uns auf der Strandpromenade, die von chinesischen Touristen bevölkert wird. Auch eine Terrassenparty  zur allgemeinen Belustigung und zum Erstaunen des Publikums fand statt, war aber offensichtlich doch so gelungen, dass sich selbst skeptisch blickende Chinesen*innen am Ende zu uns gesellten. Gleißendes Sonnenlicht weckte mich morgens in meinem Zimmer mit Blick auf den See. Ich muss mich kneifen, um herauszufinden, ob ich ein schönes Video über diesen Höhensee sehe oder der Anblick real ist. Er ist es. Und nach dieser Erkenntnis kommt ein wenig Wehmut auf, denn die Uferpromenade und die dahinter liegende Hotelkette machen den Eindruck, als ob sie übermorgen genauso wie in vielen Seebädern bei uns ein vollkommen geschlossenes Bollwerk bilden und der freie Zugang für Menschen zum See versperrt wird (siehe auch Strandgebühr an Ost- und Nordsee).

Ende Teil 4 und ganz langsam nähern wir uns auch dem Tourende.